Vertretung einer GmbH und Missbrauch der Vertretungsmacht
Mit Urteil vom 09.01.2024, Az. II ZR 220/22, hat der BGH eine bedeutsame Entscheidung im Bereich des Vertretungsrechts getroffen. Nach Auffassung des Gerichts gelten die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Rahmen des in § 15 Abs. 1 HGB normierten Rechtsscheintatbestands.
Die Vertretung der GmbH
Grundsätzlich muss eine GmbH als juristische Person des Privatrechts, da sie selbst nicht handeln kann, durch eine natürliche Person vertreten werden. In § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG ist geregelt, dass die GmbH durch ihren Geschäftsführer vertreten wird.
Der GmbH-Geschäftsführer bzw. dessen Bestellung, ist aufgrund der Regelung in § 39 Abs. 1 GmbHG in das Handelsregister einzutragen. Grund hierfür ist, dass auf diesem Wege der Rechtsverkehr nachvollziehen kann, wer zu einem Vertragsschluss für die GmbH berechtigt ist. Auf die Richtigkeit der Eintragung kann der Rechtsverkehr vertrauen – es wird somit eine Publizität begründet.
Die Publizitätswirkung des Handelsregisters
Geregelt ist die Publizitätswirkung des Handelsregisters wiederum in § 15 HGB. Der Rechtsverkehr darf auf den Inhalt des Handelsregisters vertrauen, auch wenn der Inhalt tatsächlich falsch bzw. unrichtig bekanntgemacht ist – diese sog. positive Publizität ergibt sich aus § 15 Abs. 3 HGB.
Es obliegt insofern der GmbH, den Inhalt des Handelsregisters richtigzustellen. Andernfalls kann es zu einer Vertrauenshaftung kommen, wenn der Rechtsverkehr auf die Richtigkeit des Handelsregisters vertraut.
Wird beispielsweise die Bestellung des Geschäftsführers durch die GmbH-Gesellschafter widerrufen, so endet die Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers. Der ursprüngliche Geschäftsführer ist damit nicht mehr zur Vertretung der GmbH beim Abschluss von Rechtsgeschäften befugt. Dies ist unbedingt im Handelsregister einzutragen. Solange die Eintragung im Handelsregister nicht erfolgt, besteht die Vertretungsbefugnis aufgrund der positiven Publizität des Handelsregisters faktisch fort – dies ergibt sich aus § 15 Abs. 1 HGB.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings, sofern derjenige, der sich auf den Inhalt des Handelsregisters beruft, die Unrichtigkeit des Handelsregisters bekannt war.
Die BGH-Entscheidung
Der BGH hat sich in seinem Urteil mit der Frage beschäftigt, ob es für die Kenntnis des Vertragspartners ausreichend ist, dass es hinsichtlich der Abberufung des Geschäftsführers einen Beschluss der Gesellschafterversammlung gegeben hat und somit das Vertrauen in den Inhalt des Handelsregisters nicht mehr schutzwürdig ist.
Der Sachverhalt der BGH-Entscheidung
In der Sache, die der BGH zu entscheiden hatte, ging es um die Wirksamkeit eines mit einer GmbH abgeschlossenen Immobilienvertrags. Die Immobilie wurde von einer GmbH erworben und anschließend in eine Vielzahl eigener Wohn- bzw. Geschäftseinheiten aufgeteilt. Die GmbH war genau hierauf ausgelegt; die Immobilie machte insofern den maßgeblichen Teil des Anlagevermögens aus, wie durch die Firmierung bereits nach außen zu erkennen war.
In der Folge wurde aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses u.a. die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH aus wichtigem Grund beschlossen. Vertreten durch einen neuen Geschäftsführer, veräußerte die GmbH sodann die Wohn- und Gewerbeeinheiten zu einem Kaufpreis, welcher nicht den Vorstellungen der zuvor verdrängten Minderheitsgesellschafterin entsprach. Die Wirksamkeit des Beschlusses, welcher durch die Stimmen des Mehrheitsgesellschafters getragen war, wurde sowohl vom Minderheitsgesellschafter sowie auch vom ehemaligen Geschäftsführer bezweifelt. Somit wurde der Beschluss zum Gegenstand einer Anfechtungsklage des Minderheitsgesellschafters.
Der ehemalige Geschäftsführer, der auch weiterhin im Handelsregister als solcher eingetragen war, veräußerte zwischenzeitlich die Immobilie an die Beklagte, ohne hierzu berechtigt zu sein. Die Beklagte berief sich trotz Kenntnis des Beschlusses über die Abberufung des Geschäftsführers auf den Inhalt des Handelsregisters.
BGH bestätigt die Publizitätswirkung des Handelsregisters
Der BGH bestätigte in seiner Entscheidung, dass die Klägerin und Käuferin der Immobilie sich grundsätzlich so behandeln lassen durfte, als hätte die Vertretungsbefugnis des ehemaligen Geschäftsführers fortbestanden. Es gelte letztlich der Inhalt des Handelsregisters, § 15 Abs. 1 HGB. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf das Handelsregister werde nicht durch Kenntnis des Abberufungsbeschlusses und ein damit einhergehendes „Kennenmüssen“ des Widerrufs der Geschäftsführerbestellung berührt. Erforderlich sei nämlich, wie der BGH bestätigte, die positive Kenntnis der einzutragenden Tatsache. Das bloße Kennenmüssen oder die grob fahrlässige Unkenntnis reichen hierbei nicht aus.
Die Umstände, die vorliegend bekannt waren, hätten dazu führen müssen, dass zwingend die positive Kenntnis der Unrichtigkeit der Eintragung im Handelsregister hieraus folgt. Hier war zwar der Abberufungsbeschluss bekannt, jedoch hätte dieser ebenso unwirksam sein können. Die Zweifel an der Wirksamkeit des Beschlusses haben insofern gegen die positive Kenntnis im Sinne von § 15 Abs. 1 HGB gesprochen.
Der BGH betont hierbei auch, dass das Vertrauen auf den Inhalt des Handelsregisters abstrakt geschützt ist. Das Einsehen des tatsächlichen Inhalts des Registers ist nicht erforderlich. Der BGH bestätigt die bereits existierende höchstrichterliche Rechtsprechung: Dieser Grundsatz gilt selbst bei der Kenntnis des Abberufungsbeschlusses.
Beschränkung der Vertretungsmacht im Innenverhältnis
Im Innenverhältnis wäre für die Wirksamkeit des Grundstücksgeschäfts weiterhin die Zustimmung der Gesellschafterversammlung erforderlich gewesen, da es sich um ein besonders bedeutsames Geschäft im Sinne von § 49 Abs. 2 GmbHG handelte. Die dem Handelsregister zu entnehmende Vertretungsmacht des ehemaligen Geschäftsführers der GmbH war insofern im Innenverhältnis eingeschränkt.
Grundsätzlich wirken sich solche Beschränkungen im Innenverhältnis jedoch nicht auf die Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis aus.
Ausnahme: Missbrauch der Vertretungsmacht
Dieser Grundsatz der Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis kennt jedoch wiederum eine Ausnahme. Das Außenverhältnis und damit die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts wird ausnahmsweise berührt, wenn ein Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht vorliegt.
Anzunehmen ist ein solcher Missbrauch der Vertretungsmacht, sofern der Geschäftspartner weiß oder es sich ihm aufdrängen müsste, dass (hier) der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. Es liegt dann ein Fall des kollusiven Zusammenwirkens vor: Der Geschäftsführer und der Vertragspartner wirken zum Nachteil der vertretenen GmbH zusammen, obwohl beiden bekannt ist, dass die Vertretungsmacht nicht mehr besteht. Auf der Seite des Vertragspartners muss das Fehlen der Vertretungsmacht offensichtlich bzw. evident sein. Mindestens müssen sich offensichtliche Verdachtsmomente ergeben.
Liegt ein solcher Fall des Missbrauchs vor, so kann sich für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht auf die vermeintlich bestehende Vertragungsmacht berufen werden.
Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht – Schutzwürdigkeit juristischer Laien
Ob sich der Missbrauch der Vertretungsmacht aufgrund des fehlenden Gesellschafterbeschlusses im Innenverhältnis aufdrängen musste, war Kern der BGH-Entscheidung. Nach Ansicht des BGH müsse dem Vertragspartner regemäßig bewusst sein, dass eine Einwilligung der Gesellschafterversammlung bei einem besonders bedeutsamen Geschäft erforderlich sei. Insofern liege Evidenz grundsätzlich vor.
Anders sei es jedoch im Einzelfall bei einem juristischen Laien: Laien können durch einen bestehenden Rechtsirrtum besonders geschützt sein. Vorliegend wurde die Fehlvorstellung durch die Aussagen eines Notars hervorgerufen. Auf den Rat des Notars durften die Beteiligten sich im BGH-Verfahren verlassen. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Fehler des Notars erkennbar falsch oder offensichtlich auf falschen oder unzureichenden Grundlagen basierte.
BGH hält die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB anwendbar
Der BGH bestätigte nunmehr in seiner Entscheidung, dass auch, sofern die Vertretungsmacht lediglich aufgrund der Publizitätswirkung des § 15 HGB fingiert werde, sich der Vertragspartner im Falle des Missbrauchs der Vertretungsmacht dennoch nicht auf den Inhalt des Handelsregisters berufen könne.
Die Fiktion, die § 15 HGB erzeugt, kann nicht weiter gehen, als die Rechtslage, wenn der Rechtsschein zuträfe.
BGH-Urteil zeigt praktische Konsequenzen für GmbH
Es ist von besonderer praktischer Wichtigkeit, Änderungen unverzüglich in das Handelsregister eintragen zu lassen. Der gesamte Rechtsstreit hätte hierdurch vermieden werden können. Die verspätete Eintragung einer relevanten Tatsache, wie die Abberufung eines Gesellschafters, kann erhebliche Konsequenzen und finanzielle Schäden nach sich ziehen. Der ehemalige Geschäftsführer ist in der Lage, der GmbH stark finanziell zu schaden.
Verhindert werden können solche Schäden durch Mitteilungen der geänderten Vertretungsverhältnisse gegenüber Geschäftspartnern. Auch die präventive Bestellung von zwei Geschäftsführern kann dem Problem abhelfen.
Sollte bereits bei der Abberufung eines Geschäftsführers die Befürchtung bestehen, dass dieser unbefugte Rechtsgeschäfte abschließt, ist es denkbar, dem gerichtlich im Wege einer gegen den Geschäftsführer zu beantragenden einstweiligen Verfügung entgegenzuwirken. Auf diesem Wege können dem ehemaligen Geschäftsführer solche Rechtsgeschäfte verboten werden. Bei Verstoß gegen die einstweilige Verfügung droht ein nicht unerhebliches Ordnungsgeld. – insofern ist die einstweilige Verfügung als Abschreckungsmaßnahme geeignet.
Auch auf Seiten des jeweiligen Vertragspartners kann es bei Zweifeln angebracht sein, Nachweise für die bestehende Vertretungsmacht oder einen Gesellschafterbeschluss im Innenverhältnis einzufordern.