BAG-Grundsatzurteil zur Arbeitszeiterfassung

Mit Urteil vom 13.09.2022 (Az. 1ABR 22/21) kommt das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt  zu dem Ergebnis, dass Arbeitgeber zur genauen Erfassung der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter verpflichtet sind.

Das Urteil des BAG basiert auf einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019, dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“.

Im Dezember 2022 hat das Bundesarbeitsgericht schließlich die Urteilbegründung veröffentlicht.

Das „Stechuhr-Urteil“ des EuGH

Anlässlich einer Vorlage durch ein spanisches Gericht urteilte der europäische Gerichtshof im Mai 2019 mit dem Ergebnis der Handlungsverpflichtung für die europäischen Mitgliedsstaaten. So sollen sämtliche Arbeitgeber innerhalb der Mitgliedsstaaten zur Einrichtung eines verlässlichen und objektiv zugänglichen Arbeitszeiterfassungssystems verpflichtet sein. Auf diesem Wege soll die täglich tatsächlich geleistete Arbeit zum Schutz der Arbeitnehmer genau erfasst werden können.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG entschied hierüber im September 2022 anlässlich einer Klage einer Belegschaftsvertretung, die die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung forderte. Zwar mag dies auf den ersten Blick die Kontrolle der Arbeitnehmer durch die Arbeitgeber erweitern. Jedoch haben, so das BAG, auch die Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an erhöhter Kontrolle. Die genaue Dokumentation der Arbeitszeit soll es ermöglichen, dass Überstunden nicht unbezahlt bleiben und die erforderlichen Ruhepausen eingehalten werden. Dies sei nur durch die Einführung eines objektiven und verlässlichen Systems möglich. Der Arbeitgeber entgegnete im BAG-Verfahren, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung technischer Kontrolleinrichtungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) lediglich ein Abwehrrecht sei, welches dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer diene. Insofern könne die Einführung nicht einfach durch deren Interessensvertretung vorweggenommen werden. Dem widersprach bereits die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, ging aber in der Begründung nicht weiter auf das EuGH-Urteil ein.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt nahm in Anlehnung an das EuGH-Urteil jedoch eine europarechtskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz vor:

Hierin ist die Pflicht des Arbeitgebers geregelt, zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit seiner Arbeitnehmer für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Nach Auslegung kommt das BAG hier zu dem Schluss, dass darin ohnehin die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung enthalten sei.

Die europäischen Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung sind bislang nicht korrekt umgesetzt worden. Dies soll jetzt erfolgen.

Arbeitszeiterfassung durch deutsche Unternehmen erforderlich

Das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts hat – so viel steht fest – weitreichende Auswirkungen für Arbeitgeber in der gesamten Bundesrepublik. Mit der Entscheidung des BAG gilt die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit ab sofort.

Insbesondere im Bereich des Homeoffice oder der sogenannten Vertrauensarbeitszeit ist die genauere Dokumentation – zulasten der Flexibilität – nun erforderlich.

Konkret wird es nicht ausreichen, wenn Arbeitgeber ein System zur Erfassung der Arbeitszeit bloß bereitstellen. Sie müssen vielmehr auch dafür sorgen, dass dieses System tatsächlich genutzt wird. Es muss sichergestellt werden, dass die Arbeitszeit von Beginn bis Ende einschließlich der Überstunden dokumentiert wird. Hierbei reicht eine pauschale Angabe, dass der Arbeitnehmer z.B. acht Stunden gearbeitet habe, nicht aus. Vorausgesetzt ist die Angabe genauer Uhrzeiten. Nicht erforderlich sei jedoch, dass die Erfassung der Arbeitszeit auf elektronischem Wege erfolgt.

Der Betriebsrat hat nunmehr kein Mitbestimmungsrecht mehr hinsichtlich der Frage „ob“ die Arbeitszeiterfassung erfolgt. Jedoch soll das „Wie“ durchaus – gem. § 87 Betriebsverfassungsgesetz – weiter vom Betriebsrat mitzubestimmen sein.

Noch nicht geklärt ist weiterhin die Frage, ob die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch leitende Angestellte betrifft.

Nach der bisherigen Regelung in § 16 Abs. 2 ArbZG musste die Arbeitszeit lediglich bei einer Überschreitung von werktags acht Stunden dokumentiert werden.

Konsequenzen bei Verstößen gegen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Arbeitgeber werden sich nun fragen, welche Konsequenzen ihnen bei Verstößen gegen die nunmehr geltende Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit drohen. Tatsächlich sieht die Entscheidung des BAG keine Bußgelder vor. Verstöße gegen § 3 Arbeitsschutzgesetz sind nach § 25 des Gesetzes bislang nicht unmittelbar bußgeldbewehrt.

Möglicherweise anstehende Änderungen des deutschen Arbeitsrechts

Wie genau die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung umgesetzt werden soll, ist bislang unklar. Insofern besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die schnellstmöglich beseitigt werden sollte.

Eine Anpassung der aktuellen Regelungen im deutschen Arbeitsrecht steht noch aus. Im Koalitionsvertrag der SPD, FDP und Grünen ist jedoch festgehalten, dass flexible Arbeitszeitmodelle weiterhin möglich bleiben sollen. Denkbar ist auch eine Anpassung des Gesetzes hinsichtlich der Bußgelder für Verstöße gegen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Wie der Gesetzgeber die europäischen Vorgaben umsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Autor: Michael Heinze, Rechtsanwalt am Standort Köln

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